„Der
Weg zur Politsekte ist vorgezeichnet"
Bei den Politikern der SVP kann man drei Typen unterscheiden: Das
sind einmal die
1. Missionare
Sie machen aus den schweizerischen Nationalmythen des 19. Jahrhunderts
und der Weltkriegszeit 1939-1945 eine Ersatzreligion. Als Fundamentalisten
sind sie paradoxerweise den Islamisten durchaus geisterverwandt,
wenn sie aus naheliegenden Gründen ihre Bündnispartner
auch lieber bei den "wiedergeborenen" Bibel-Christen oder
beim VPM suchen. Ihnen ist die Wirtschaftspolitik ungeheuer, sie
wollen am liebsten hinter die Aufklärungszeit zurück.
Der innere Antrieb ist die Verheissung eines helvetischen Paradieses
mit christlich-patriarchaler Verbrämung. Unheimlich sind Energie
und Netzwerke dieser Missionare. USA und Israel, aber auch Drittweltstaaten
mit Sekteneinfluss (z.B. Guatemala) zeigen auf, wie gefährlich
ihr Machtzuwachs sein kann. Beispiele: Christoph Blocher, Ulrich
Schlüer
Weit weniger unheimlich, weil sehr berechenbar, sind die
2. Funktionäre
Sie denken opportunistisch und zielgruppen-orientiert.
Was Wahlsiege garantiert, wird kurzfristig umgesetzt. Mal sind sie
neoliberal, handkehrum wieder ultrakonservativ. Entscheidungskriterien
sind allein die Bedürfnisse des Medien- und Politmarketings.
In diesen Feldern liegen auch ihre Kompetenzen, Visionen sind ihre
Sache nicht. Ihr Motor ist der seit vielen Jahren anhaltende Erfolg,
der den Fleiss immer wieder belohnt.
Beispiele: Hans Fehr, Gregor Rutz, Claudio Zanetti
Die weitaus grösste Gruppe sind aber die
3. Profiteure
Zu ihnen zählen zahllose Amtsträger in den
Gemeinden und Kantonen, Kleinunternehmer und junge Angestellte.
Die Wahlerfolge Christoph Blochers haben ihnen den Aufstieg in Ämter
ermöglicht, die sie mit eigenen Aktivitäten niemals erreicht
hätten. Sie pflegen zwar häufig einen Stammtisch-Konservativismus,
der aber kaum ideologisch fundiert ist. Hauptsache ist der Erhalt
von Status, Amt, Sitzungsgeld und Möglichkeit, Aufträge
zu akquirieren. Von Zeit zu Zeit fühlen sie sich verpflichtet,
mit rassistischen, frauenfeindlichen oder anderen populistischen
Ausfällen die Marketing-Anstrengungen der Funktionäre
zu unterstützen und die Mächtigen der SVP ihrer Linientreue
zu versichern. Da ihre (meist auch berufliche) Existenz direkt von
der Machtzuweisung durch die Funktionäre abhängt, ist
Gehorsam erste Pflicht.
Aus meiner Analyse ergeben sich folgende Schwierigkeiten der SVP:
1. Sie ist zu Wahlerfolgen verdammt. Zu viele
Profiteure würden bei den ersten Misserfolgen das Handtuch
werfen, Nachwuchs würde sich bei den Wahlsiegern anhängen.
2. Die Missionare haben - anders als in den USA oder Israel - keine
Chance, in der immer urbaneren Schweiz mehrheitsfähig zu werden.
Ihre Mission kollidiert mit den Bedürfnissen der Geldelite
in der Schweiz, worin ein grosses Spaltungspotenzial liegt. Ausserdem
wird ihnen in absehbarer Zeit der Messias C. Blocher aus biologischen
Gründen abhanden kommen.
3. Für die Funktionäre ist die Gewinnung weiterer Marktanteile
nur möglich, wenn die anderen Rechtsparteien FDP und
CVP in einigen Kantonen praktisch aussterben. Dies ist
nicht zu erwarten - die Substanz dieser Parteien ist zu gross, als
dass sie nicht irgendwann eine politische Linie finden würden.
Und nun zum Zusammenhang mit dem Rücktritt von RR
Ch. Huber:
RR Huber hat sich mit den Missionaren gut gestellt - immerhin trat
er in seiner früheren Funktion als Oberrichter öffentlich
gemeinsam mit dem VPM für dessen abstruse Drogenpolitik auf.
Hingegen liess er sich nicht von den Funktionären als Parteisoldat
kommandieren. Dass Leute mit bescheidenem Leistungsausweis seinen
Status missachteten, beleidigte ihn. Ich halte den Rücktritt
von RR Ch. Huber für die Panikreaktion eines beleidigten
Königs. Hätte er sich selber weniger wichtig
genommen als seinen Wählerauftrag, hätte er die letzten
3 Jahre auch parteilos oder als Gast bei der FDP wirken können.
So gross die Schadenfreude bei der Linken ist, politische Wirkung
wird sein Abgang innerhalb der SVP Kanton Zürich nicht haben.
Die grösste Wirkung hätte ein Sitzverlust. Ich zweifle,
ob RR Fuhrer allein durchhalten würde, die SVP könnte
versucht sein, ihre absehbare Demission als Rückzug in die
Opposition zu verwerten.
Interessant ist die Frage, aus welcher der 3 SVP-Kategorien der
Nachfolger kommen wird. Für die Linke ist die Ausgangslage
sehr gut, einen weiteren RR-Sitz zu erorbern, denn jeder Kandidat
der SVP wird die Frage beantworten müssen, wie er an der Stelle
von RR Huber reagieren würde. Jede denkbare Antwort verunsichert
entweder die SVP- oder die anderen WählerInnen.
Ruedi Lais, 29.09.2004
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